Rede des Vorsitzenden Donald Albrecht zum Volkstrauertag 2018
Die Zukunft liegt in der Vielfalt, der Toleranz und im friedlichen Zusammenleben mit unseren Nachbarn
Liebe Anwesende!
Als ich mich auf die Rede für diesen Tag der Erinnerung vorbereitet habe, gab es verschiedene Ansätze, damit umzugehen. Dieser Tag bietet ja gerade nach der Anbringung einer neuen Namenstafel für die Gefallenen des 1. Weltkrieges, der vor 100 Jahren endete, die Möglichkeit, der Toten, Verstümmelten und Entwurzelten oder auch konkreter Einzelschicksale zu gedenken.
Oder man kann sich als Vereinsvorsitzender mit der Rolle einzelner Gruppen wie z.B. der von Schützenvereinen, von Sportvereinen oder Kirchen im Dritten Reich auseinandersetzen.
Oder man kann an Schicksale von Zivilisten und Verfolgten oder an Widerstandsleistungen erinnern.
Aber diese ganzen Erinnerungen sind m.E. wert- und inhaltslos, wenn sie nicht dazu dienen, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen, uns zu mahnen und zu warnen.
Gerade die Erinnerungsstätten an die Opfer von Krieg, Vertreibung und Gewaltherrschaft haben ja einen doppelten Charakter. Ursprünglich waren sie als Orte dafür gedacht, sich an die Toten und Vermissten einer Gemeinde zu erinnern.
Erinnern hat ja aber nicht nur die Bedeutung, an Vergangenes zu denken, sondern auch daran zu denken, was zu tun ist.
Denn… wie gesagt: Das Andenken an die Opfer wäre nichts wert, wenn die Opfer für uns nicht zugleich auch eine Mahnung wären. Sie sollen uns ermahnen … ich möchte sogar sagen – warnen … dass sich die schrecklichen Ereignisse von Krieg, Verfolgung und Gewaltherrschaft niemals wiederholen.
Und diese Warnung möchte ich daher heute in den Mittelpunkt stellen.
Zur Erinnerung:
Nach dem 1. Weltkrieg wurde vor genau 100 Jahren in Deutschland nach den Matrosenaufständen in Kiel die erste freie Republik gegründet. Verantwortungsbewusste Politiker versuchten, mit der Weimarer Republik in Deutschland einen demokratischen Staat auf der Basis von Einigkeit und Recht und Freiheit aufzubauen, dessen Symbol die deutsche Fahne der Freiheit „Schwarz-Rot-Gold“ wurde.
Aber die extremen Linken und insbesondere die Rechtskonservativen versuchten von Anfang an, dieses noch fragile Gebilde mit Falschmeldungen und Lügen, aber auch mit nationalistischen Parolen anzugreifen. Das bekannteste Beispiel dieser Lügen ist die Dolchstoßlegende, mit der insbesondere den Weltoffenen unterstellt wurde, dass sie den Soldaten im Feld in den Rücken gefallen seien. Und bei den Millionen, die damals auf Grund der Folgen der Weltwirtschaftskrise zu den ökonomischen und gesellschaftlichen Verlierern gehörten, schufen solche Lügen gezielt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und vor allem ein Feindbild, auf das die Verzweiflung und Unzufriedenheit projiziert werden konnte.
Wohin das letztlich geführt hat, wissen wir alle.
1933 begann in Folge der gezielten Destabilisierung der demokratischen Strukturen das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. In Folge eines unsinnigen Rassenwahns wurden millionen und aber-millionen Menschen ermordet, verstümmelt, vergewaltigt und gequält. Viele Millionen wurden durch den von Deutschland verursachten Krieg zu Flüchtlingen. Sie verloren ihre Heimat, ihre Familien und ihr Hab und Gut.
Auch mein Vater verlor damals seine Jugend und seine Heimat in Ostpreußen und wurde zum Migranten.
12 Jahre dauerte dieser böse Spuk, bis ihm endlich im Mai 1945 ein Ende bereitet wurde.
Das mag nur ein vergleichsweise kurzer Zeitraum in der Geschichte gewesen sein, aber es war eine Zäsur für die Menschheit, die ihres gleichen nicht findet.
Es ist eben kein Vogelschiss der Geschichte, die Weltbevölkerung in einen mörderischen Krieg zu treiben, der aber-millionen Menschen Tod und Verstümmelung brachte und Millionen zu Flüchtlingen und Vertriebenen machte.
Und es ist eben kein Vogelschiss der Geschichte, Millionen Menschen zu töten, nur weil sie anders denken, glauben oder aussehen.
Diese Periode bleibt ewig wie ein Brandzeichen zur Mahnung in die Verantwortung der Deutschen eingebrannt.
Aber…..und das ist das Wichtige und Entscheidende für mich:
Die Deutschen und Europäer haben daraus – anders als nach dem 1.Weltkrieg – gelernt.
Die Deutschen haben sich nicht nur eine der freiheitlichsten Grundordnungen gegeben.
Trotz aller Gräueltaten haben sich Politiker aus den früher verfeindeten Ländern gefunden, die verantwortungsvoll daran gearbeitet haben, dass sich solche schrecklichen Ereignisse nicht wiederholen sollen.
Unsere früheren „Erzfeinde“ aus Frankreich und anderen Staaten gründeten mit uns gemeinsam die europäische Gemeinschaft statt uns zu hassen und zu strafen. Die EU wurde durch die gemeinsame Überwindung des Nationalismus – bei aller berechtigten Kritik – eines der größten Friedensprojekte der Welt. Ein Kontinent, der durch ständiges Belauern und Bekriegen geprägt war, fand in Vertrauen zueinander bis hin zur Öffnung der Grenzen untereinander. Dass Frankreich und Deutschland einmal der gemeinsame Motor für ein friedvolles Europa sein würden, wer hätte das vor 100 Jahren gedacht, als es noch hieß, „…jeder Stoß ein Franzos…“
Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch West-Deutschlands schuf die Integration in Europa und die Aufnahme vieler Wirtschaftsflüchtlinge – die wir damals Gastarbeiter nannten – das sogenannte Wirtschaftswunder, das zur Grundlage unseres heutigen Wohlstandes wurde.
Deshalb erschreckt es mich, wenn heute wieder Menschen in Deutschland gezielt durch billige Parolen, Lügen und Falschmeldungen gegen Ausländer und Andersdenkende und gegen unser politisches System aufgebracht werden, und ein unreflektierter blinder Nationalismus gepredigt wird.
Und das, obwohl wir anders als in der Weimarer Republik eben kein Millionenheer von Abgehängten, Verzweifelten und Arbeitslosen haben, sondern gerade dank unserer vielfältigen internationalen Verflechtungen gute, wenn nicht die besten wirtschaftlichen Bedingungen unserer Geschichte haben.
Natürlich ist auch mir bewusst, dass in unserer Gesellschaft vieles noch verbesserungsfähig ist und es nicht allen gut geht. Und dass es von vielen zu Recht als ungerecht empfunden wird, dass die Schere zwischen arm und reich sich wieder mehr öffnet und dass die Lebensumstände in Ost und West noch nicht überall angeglichen sind. Dies darf von der Politik auch nicht vernachlässigt werden.
Aber das ist kein Vergleich zu den Verhältnissen Ende der 20er Jahre und rechtfertigt auch in keinster Weise Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.
Es ist absolut nicht nachvollziehbar, wenn in Deutschland, das seine große wirtschaftliche Kraft, seinen Wohlstand, vor allem aber seinen Frieden gerade seinen starken internationalen Verflechtungen verdankt, der Ruf nach Abgrenzung und Nationalismus immer lauter ertönt.
Und es erschreckt mich noch mehr, wenn ich sehe, dass heute, 80 Jahre nach der Reichsprogromnacht in unserem Land wieder ein Mob durch die Straßen zieht und Menschen jagt oder belästigt, nur weil sie anders aussehen und denken. Und dass in diesem Land auf Veranstaltungen dumpfe Hassparolen gebrüllt werden und offen Musik gespielt wird, die zum Tod anders Denkender und anders Aussehender auffordert. Und bei denen der Hitlergruß ungeniert gezeigt wird.
In diesem Land,
- das sich auf seine christlichen Wurzeln und humanistischen Traditionen und Grundwerte beruft,
- das wirtschaftlich stark ist,
- das wie kein anderes Land in Europa in seiner langen Geschichte immer wieder durch Migrationsbewegungen geprägt wurde – und das gerade aus dieser Vielfalt seine Stärken entwickelt hat,
- und das noch vor rd. 80 Jahren die Welt in einen fatalen Krieg mit Millionen Toten und Heimatvertriebenen geführt hat, aber trotzdem von seinen Partnern wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wurde,
in diesem Land darf Nationalismus und Fremdenhass niemals wieder einen Platz finden.
Unterschiedliche Biografien genau wie unterschiedliche Meinungen und Ansichten sind nicht nur ein normaler, sondern ein wichtiger Bestandteil für die Entwicklung einer lebendigen und zukunftsfähigen Gesellschaft. Es kann und darf niemals wieder dazu kommen, dass anders Denkende oder anders Aussehende verbal beleidigt oder gar physisch gejagt werden.
Wir können stolz und glücklich sein, in einem Land zu leben, in dem es eine freie, unabhängige und kritische Presse gibt. Und wo jeder seine Meinung frei äußern darf, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen.
Aber gerade dadurch hat jeder auch die Pflicht, nicht blind jeder Parole zu folgen, sondern sich sorgfältig zu informieren.
Bei uns in Deutschland kann man das nämlich.
Dieses Mahnmal, vor dem wir heute stehen, soll uns ständig daran erinnern, dass die Zukunft nicht in Ab- und Ausgrenzung und im Nationalismus liegt. Nationalismus ist eine Sackgasse. … Von Abgrenzung zu Ausgrenzung, zu Unfreiheit und zur Verfolgung von Andersdenkenden ist es leider nur ein kleiner Schritt, wie wir auch heute noch täglich weltweit – auch in Deutschland – leider sehen müssen.
Dieser Tag und dieser Ort sollen uns stets warnen, wohin es letztendlich führen kann, wenn nicht jede und jeder von uns mutig bereits den Anfängen entgegen tritt.
Die Zukunft unserer Gesellschaft liegt allein in der Vielfalt, in der Toleranz gegenüber anders Denkenden und anders Aussehenden und im friedlichen und offenen Zusammenleben mit unseren Nachbarn.
In diesem Sinne verneige ich mich vor den Opfern.